Galápagos für ein halbes Jahr – ein Reisebericht
Von Veronika Huebl
Wenn man zum zehnjährigen Dienstjubiläum die Möglichkeit bekommt, sechs Monate lang ortsunabhängig ein relativ frei definierbares Projekt zu realisieren, bei voller Lohnfortzahlung – was plant man da? Als Linguistin und Dozentin für Kommunikation mit zwei Kindern und viel internationaler Erfahrung sollte das Projekt inhaltlich Kommunikation und Wissensvermittlung in einem anderen kulturellen Kontext thematisieren und geografisch so angelegt sein, dass ein Neunjähriger und eine Sechsjährige dabei auch möglichst viel erleben können, aber dabei möglichst wenig Gefahren ausgesetzt sind. Unsere Wahl fiel auf ein halbes Jahr Galápagos: eine atemberaubende Tierwelt auf vulkanischem Inselboden mit hochinteressanter gesellschaftlicher Konstellation sollte genug Anknüpfungspotenzial für uns alle bieten – und so war es auch. Von August 2019 bis Januar 2020 lernten wir die Inseln und ihre Bewohner kennen.
Schutz und Probleme des einzigartigen Archipels
Wiewohl wir ohne spezielles biologisch motiviertes Interesse und bar entsprechender Vorbildung angereist waren, haben uns doch am meisten die überall sicht- und spürbaren Anstrengungen geprägt, diese einzigartige Fauna und Flora zu schützen und die Schäden, die die grösste und gefährlichste aller invasiven Arten, der Mensch, über Jahrhunderte angerichtet hat, zumindest in Ansätzen rückgängig zu machen. Denn letztlich ist alles, was die endemischen und nativen Inselbewohner bedroht, irgendwann von Menschen eingeschleppt worden, von ausgewilderten Nutztieren über sich schnell vermehrende Pflanzen und Schädlinge wie Brombeere, Guava oder Ratten und Mäuse bis hin zu akzentuierten Klimaphänomenen.
In vielen Gesprächen mit Nationalpark-Rangern erfuhren wir über die Wochen und Monate hinweg immer mehr Details über die Projekte von Nationalpark und Charles Darwin Research Station. Wir lernten das Schildkröten-Männchen Diego kennen, den Retter der Española-Schildkröten, und freuen uns umso mehr, dass er und seine Freunde ihren Lebensabend jetzt wieder auf Española geniessen dürfen. Wir erfuhren, wieso die Floreana-Schildkröten zwar als ausgestorben galten, es aber jetzt doch wieder welche gibt, und dass es nun, bald zehn Jahre nach dem Tod von Lonesome George, offenbar auch für die Pinta-Schildkröten wieder Hoffnung gibt. Gleichzeitig erlebten wir den Kampf gegen Ratten und wilde Hauskatzen mit, lasen viel über die Erfolgsgeschichte der Ausrottung der Ziegen und hofften, dass man bald ein Mittel gegen die Philornis downsi findet, eine Fliege, die ihre Eier in Vogelnester legt und deren frisch geschlüpfte Larven sich dann vom Blut der frisch geschlüpften Vögel ernähren und diese somit häufig umbringen. Auf diese Weise haben sie beispielsweise den Rubintyrann auf Santa Cruz bereits fast ausgerottet.
Darüber, dass der Mensch zur Gänze die Schuld daran trägt, dass das biologische Gleichgewicht auf dem Archipel aus den Fugen gerät, besteht zwar weithin Konsens; daraus abgeleitet das Leben auf den Inseln entsprechend zu verändern, bedarf es aber enormer Anstrengungen – das bestätigten uns sowohl die Einheimischen als auch unsere eigenen Erfahrungen und Beobachtungen. Entsprechende Regelungen und Gesetze traten zwar bereits vor Jahren in Kraft, werden jedoch erst jetzt langsam umgesetzt.
Die Bevölkerung wuchs bis vor Kurzem recht unkontrolliert. Restriktive Einreisebestimmungen für internationale Touristen wie auch Festland-Ecuadorianer sollten das Bevölkerungswachstum eindämmen. Es gibt aber nach wie vor zahlreiche Bewohner ohne gültige Aufenthaltserlaubnis. Mit wachsender Bevölkerung gibt es auch mehr und mehr Verkehr. Für ein Privatauto muss man ein begründetes Ansuchen stellen, die überwiegende Mehrheit der Fahrzeuge auf den Inseln sind Taxis. Während kürzerer Wartezeiten von unter 15 Minuten stehen sie üblicherweise mit laufendem Motor herum. Das Benzin ist ob massiver staatlicher Subventionen spottbillig und damit kein Anreiz, sparsam damit umzugehen. Auch Haustiere sind nicht unproblematisch – nämlich dann, wenn sie sich ungewollt und unkontrolliert vermehren, die Jungtiere dann in den Weiten des Nationalparks verschwinden und sich beispielsweise von Leguan- und Schildkröteneiern ernähren. Ein weiteres Problem ist der Müll, der nur zu einem kleinen Teil auf den Inseln aufbereitet wird und ansonsten aufs Festland transportiert werden muss. Einwegplastik ist zwar seit Mai 2018 verboten, aber findet sich nach wie vor vielfach, von Verpackungen über Getränkeflaschen bis hin zu den Müllsäcken. Sperrmüll korrekt zu entsorgen ist teuer und wird daher nicht selten abseits der Touristenwege in den hinteren Stadtvierteln neben der Strasse deponiert. Ich habe eine ganze Fotosammlung von Kloschüsseln im Kakteen- und Balsambaumdickicht. Die Schule in Floreana hat eine Reihe von ausrangierten Kloschüsseln zu Blumentöpfen umfunktioniert, recht dekorativ und womöglich ein Trendsetter – es wäre zumindest wünschenswert.
Kreatives Recycling in Floreana©Veronica Huebl
Positive Signale
Im Inselalltag haben wir zahlreiche Nachmittags- und Wochenend-Initiativen kennengelernt, die sich darum bemühen, den Kindern und Jugendlichen, die in Galápagos aufwachsen, ihre so besondere Umgebung und die dringliche Notwendigkeit, sie zu schützen, näherzubringen. Wir haben zum Beispiel einer Gruppe, die sich dem Schutz der grünen Meeresschildkröte verschrieben hat, geholfen, Nistplätze zu markieren und abzusperren, haben bei einem Fotoclub geschnuppert, der die Nationalpark-Ranger bei der Arbeit begleitet, haben am Strand Plastik gesammelt und die Skulpturen und anderen kleinen Kunstwerke bewundert, zu denen mancher Fund verarbeitet wird, und Hai-Botschaftern erklärten uns, wie sie von der Charles Darwin Research Station in diverse Hai-Projekte mit eingebunden werden.
Die Thomas de Berlanga Schule
Einen grossen Beitrag zu dieser Bewusstseinsbildung leistet auch die Unidad Educativa Tomás de Berlanga. Bereits in den 1990er Jahren als Privatinitiative gegründet mit dem Anspruch, umweltbewusste zukünftige Verantwortungstragende für Galapagos auszubilden, bietet sie vom Kindergarten bis zur Reifeprüfung Unterricht in 14 Klassen. Der Unterricht läuft projektbasiert ab, die Projekte orientieren sich nach Möglichkeit an den alltäglichen Herausforderungen des Archipels und finden gelegentlich auch in Zusammenarbeit mit Nationalpark und Charles Darwin Research Station statt. Am Ende eines jeden Projektes steht ein Produkt, das vor Publikum präsentiert wird, entweder innerhalb der Schule oder auch für eine breitere Öffentlichkeit auf dem freitagabends für Autos gesperrten Malecón vor dem Rathaus. Zweimal pro Jahr organisiert die «Tomás» eine Weiterbildungswoche für das gesamte Lehrpersonal der Inseln. Als wegen Corona die Touristen, damit zahlreiche Einkommen und mithin auch Schüler, deren Eltern sich das Schulgeld nicht mehr leisten konnten, ausblieben, drohte das Ende. Aber dank internationaler Spenden, so auch des Vereins der Freunde der Galapagos-Inseln, konnte der Betrieb dieser wichtigen Institution aufrechterhalten werden.
Das Gleichgewicht in der Koexistenz von Mensch und Natur ist fragil, das kann man wohl nirgends auf der Welt so eindrücklich beobachten wie in Galápagos. Dank internationaler Zusammenarbeit von höchster politischer Ebene bis hin zu kleinsten Privatinitiativen scheint das Ökosystem der Inseln derzeit gewahrt. Wir träumen davon, in ein paar Jahren noch einmal hinzufahren, um zu sehen, wie sich das Leben für die Menschen und die Tiere dort weiter gestaltet.